Power Play 09/1996 (de)

09/96

Quake shareware review and tips.

Transcription

Review

QUAKE

Fünf auf der Richterskala

Ein Erdbeben erschüttert die Spielewelt: Quake ist da!

Es liegt schon am Morgen des 22. Juni in der Luft: In verschiedenen Bereichen des Internet, vom Usenet bis zu unabhängigen Web-Sites, kursiert das Gerücht: Die Shareware-Version von "Quake" wird endlich veröffentlicht. Auffällig, daß der WWW-Server der Kult-Company id-Software gegen Abend immer langsamer wird. Werkelt da jemand hinter den Kulissen, oder klinkt sich einfach eine stetig wachsende Zahl Neugieriger ein? Lange tut sich nichts. Dann, gegen ein Uhr dreißig MESZ ist es plötzlich soweit: "Quake is Out" heißt es zuerst auf id-Software nahestehenden Web-Servern - gleichzeitig brechen diese unter der Last des massiven Ansturms fast zusammen.

In Minutenschnelle weiten sich die Auswirkungen des "Quake"-Erdbebens aus. Rechner überall auf dem Globus richten in Höchstgeschwindigkeit eigene FTP-Sites mit dem neuen Spiel ein. In ganz Amerika, aber auch in London, Manila, Hongkong, Moskau, der Berliner Uni - überall steht "Quake" zum Download bereit, aufgeteilt in sieben dískettengroße Dateien. Hektik bricht aus. Wenn die überforderten Server überhaupt den Zugriff auf die Files zulassen, kriechen die Bytes nur im Schneckentempo durch die strapazierten Leitungen. Erst mit zweistündiger Verzögerung, kurz vor fünf Uhr morgens hiesiger Zeit, können die Teilnehmer der großen kommerziellen Online-Dienste das Programm einigermaßen flott und bequem auf ihre Festplatte überspielen. Die Aufregung im Internet ist keine Überraschung: id-Software hat es immer wieder verstanden, mit Ankündigungen, Screenshots und zuletzt einer spielbaren Netzwerk-Testversion die Spannung anzuheizen.

Eines war trotz älterer id-Software-Meldungen schon bald klar: Beim Spielprinzip gibt es keine Neuerungen. Wie in anderen 3D-Actiontiteln sieht man die Welt aus der Perspektive eines Helden, klappert nacheinander Höhlen, Keller oder düstere Burgen voll aggressiver Monster ab und befördert diese per Schrotgewehr, Maschinenpistole oder Raketenwerfer ins Jenseits. Irgendwann findet sich hoffentlich ein Teleporter und führt stante pede in die nächste Höllenwelt. Einen tieferen Sinn hat das alles nicht, die Readme-Dateien gehen nur kurz auf die Rahmenhandlung ein.

Wirklich neu ist vor allem die Technik hinter "Quake". Die ganze Spiele-Welt besteht aus "echten", dreidimensionalen Objekten, gibt es "oben", "unten" und "übereinander". Die meisten vergleichbaren Programme täuschen den Spieler durch geschickten Einsatz von Tricks darüber hinweg, daß Räume gar nicht übereinanderliegen. sondern daß blitzschnell in einen - technisch gesehen - anderen Level geschaltet wird. Dort, wo es wirklich dreidimensional zugeht -etwa ín "System Shock" oder "Descent" - sind entweder Gegenstände oder Gegner nur einfache Bitmaps, also flache Bilder, deren räumlichen Eindruck geschicktes Verschieben und Vergrößern erzeugt.

In Quake ist tatsächlich alles echt: Wenn ein Grunt auf den Spieler schießt, fliegt eine dreidimensionale Kugel durch den Raum, die "realen" Gesetzen der Schwerkraft gehorcht und ihre Bahn etwas absenkt. Das gilt auf für die Gegner: Finden sonst meist animierte Bitmaps Verwendung, sind die Monster in "Quake" auf Wireframe-Modellen basierende Gestalten, die relativ natürlich bewegen und auch "Tiefe" haben: So kann sich etwa Ogre hinter einem Abgrund mitsamt seiner Kettensäge vorbeugen und den Spieler verletzen.

Um den Vorteil einer echten 3D-Welt zu verstehen, stelle man sich folgendes Szenario vor: Ein rießiges Hochhaus, das man Stockwerk um Stockwerk erobert, in dem man aus den oberen Etagen unten vorbeiziehenden Monstern auf den Kopf spuckt oder sich an den Außenfassaden abseilt - in anderen Programmen ist dies nur eingeschränkt möglich, in "Quake" hauptsächlich ein Problem der Prozessor-Power.

Dreidimensional geht es schon in den Menüs zu, die Schwierigkeitsgrad und gewünschte Episode bestimmen: Diese Wahl trifft der Spieler, indem er kleine Mini-Level durch entsprechenden Ausgänge verläßt - ein Teleporter für Leicht, Normal und Schwierig. Der Teleporter für "Alptraumhaft Schwierig" ist, passend den Anforderungen, nur durch geschicktes Springen über ein Gerüst erreichbar. In den sieben normalen Leveln geht es weniger ungewöhnlich zu, lediglich ein großer, versteckter Geheimraum mit veränderter Schwerkraft fällt aus dem Rahmen. Auch das Kriegsgerät des Helden bietet keine Überraschungen: Standardwaffen, wie sie ähnlich schon überall auftauchten. Einfache und doppelte Flinte, einfaches und "Super"-Maschinengewehr, Granat- und Raketenwerfer sowie per Cheat eine Art Stromstrahl-Waffe (die übrigens unter Wasser in einer großen Entladung auch den Spieler röstet).

In einem Punkt hat id-Software scheinbar unmögliches geschafft: Die sowieso unkomplizierte Bedienung von 3D-Shootern ist in "Quake" nochmals ein ganzes Stück einfacher. Der Spieler kann nur noch die Aktionen "bewegen" und "schießen""ausführen. Knöpfe werden durch einen herzhaften Rempler mit der starken Heldenschulter gedrückt. Türen öffnen sich vollautomatisch, wenn der passende Schlüssel vorhanden ist. Ein Inventory fehlt, sieht man von der mitgeführten Waffenkammer mal ab. Die bislang übliche Karte strich id ersatzlos, der Spieler muß sich voll auf seinen Orientierungssinn verlassen. Wer sich daran erinnert, daß viele die größten Schwierigkeiten mit der Automap von "Descent" hatten, wird den Verlust verschmerzen - zumal die Level so übersichtlich sind, daß sich eigentlich niemand verlaufen kann.

In der Shareware-Version gibt es keine Musik. lm fertigen Spiel, das Ende August auf CD-ROM erscheint, spielt die Kapelle der Indie-Rocker "Nine Inch Nails" zum Monstermetzeln auf. ste

Solo: 79%

Multi: 94%

Peter Steinlechner

GUT

Wenn Quake eın Erdbeben für die Spielewelt bedeutet, dann findet es ganz tief unter der Oberfläche statt. Schwere Auswirkungen erwarte ich erst in ein bis zwei Jahren - dann dürfte es aber richtig krachen. "id's" neue Engine ist beeindruckend, kann aber beim derzeitigen Stand der Technik die Vorteile von echtem 3D noch längst nicht ausnutzen: ln hohen Auflösungen sieht die Quake-Welt zwar wie frisch aus der Silicon-Graphics gerendert aus, ist ohne sehr schnellen Rechner aber viel zu langsam. Spielerisch hin ich von Quake im Solomodus enttäuscht. Die Level bieten. sieht man von den Eingangshallen mal ab, kaum Abwechslung oder frische Ideen. Obwohl jetzt alles fast wie im richtigen Leben sein soll, kann ich nicht mal die Fenster kaputtschießen - die Konkurrenz bringt das Gefühl von "Wirklichkeit" besser rüber. Zum Überflieger wird das Programm erst im Multiplayer-Modus: Ein zünftiges "Deathmatch" mit mindestens vier menschlichen "Quakern" im lokalen Netzwerk bietet Action und makabre Effekte vom Feinsten.

Frank Heukemes

SUPER

Was der Blondschopf von 3D Realms id-Softwares bodenständigerem Produkt an Gags und Überraschungen in puncto Leveldesign voraus hat, macht "Quake" mit seiner unnachahmlich bedrückenden Stimmung und den weitaus besser konstruierten Feinden wieder wett. Seit dem letzten Produkt der Texaner hat es kein anderer Hersteller geschafft. ein runderes Gesamtwerk aus Grafik, Atmosphäre, und Sounds zu schaffen. Auch diesmal setzen sie wieder neue Maßstäbe für das "geächtete" Genre und das knapp vor der Konkurrenz, die uns in den nächsten Monaten mit Polygonrecken überschütten wird. Doch die Action-Gemeinde würde sich nicht in den Haaren über den beiden gefragtesten Stars der Ballerszene liegen, gäbe es an "Quake" keinen Pferdefuß auszumachen. Das über weite Strecken hinweg gleiche Anmuten der Level mag Grafikfetischisten anöden, nimmt sich doch "Quake" neben dem bunten Papagei von 3D Realms wie eine unheilverkündende Friedhofskrähe aus.

Ulrich Smidt

SUPER

Rauhbeinige Zeiten: Zartfühlende Gemüter sollten doch lieber gleich Abstand von "Quake" nehmen, denn friedfertig geht es hier genausowenig zu wie bei 3D Realms' mittlerweile in die Index-Schmuddelecke verdrängtem Flaggschiff. Diese Diskussion halte ich auch für müßig, sind die Fronten doch seit mindestens zehn Jahren verhärtet. Als eines der wenigen Spiele, die die Arbeitsmoral der Redaktion für Tage und Wochen untergraben haben. gebührt diesem Epos die Höchstwertung. id machte im Vorfeld zwar auch viele Versprechungen, die letztlich nicht eingehalten wurden, dennoch halte ich "Quake" in punkto Grafik für wegweisend: Endlich einmal 3D ohne faulen Bitmap-Kompromiß, ein riesiger Endgegner und Lichteffekte, die die sterile. von der Konkurrenz benutzte 'Zonenbeleuchtung" absolut erbärmlich aussehen lassen. Für mich verständlich, daß solche Qualität derzeit in HiRes nicht ohne Geschwindigkeitseinbußen möglich ist. Zumindest im Netzwerk ist "Quake" auf absehbare Zeit unschlagbar gut!

QUAKE FAMILY

Wenn es nach id Software ginge, gehört "Quake" demnächst ins Familienleben wie "Mensch ärgere dich nicht". Jedenfalls erwecken Anzeigen in englischen Magazinen diesen Eindruck: Dort strahlen unter Überschriften wie "Quake - Für die ganze Familie" oder "Quake ist gut für Dich" ganze Heerscharen von sauber gekämmten Bilderbuch-Kindern und Großfamilien in die Kamera. Das frisch vermählte Traumpaar in unserem Beispiel verspricht kurz und knapp "Quake auf immer und ewig". Man beachte auch liebevolle Details wie die Q-förmigen Eheringe - Hochzeitsnächte finden ab sofort am Bildschirm statt.